Ernährungsbildung
Bei dieser Definition handelt es sich um das Ergebnis einer Abstimmung der D-A-CH-Arbeitsgruppe zur Ernährungs- und Verbraucherbildung (Kontakt siehe unten).
Ernährungsbildung dient der "Befähigung zu einer eigenständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung in sozialer und kultureller Eingebundenheit und Verantwortung".1 Ernährungsbildung zielt damit auf die Fähigkeit, die eigene Ernährung politisch mündig, sozial verantwortlich und demokratisch teilhabend unter komplexen gesellschaftlichen Bedingungen zu gestalten.
Ernährungsbildung ist immer auch Esskulturbildung2, beinhaltet ästhetisch-kulturelle sowie kulinarische Bildungselemente und trägt zur Entwicklung der Kultur des Zusammenlebens bei.
Ernährungsbildung wird in einem lebenslangen Prozess biographisch angeeignet, der durch das soziokulturelle (familiale, soziale und institutionelle) Umfeld beeinflusst wird. Diese Aneignung erfolgt in interaktiver Auseinandersetzung mit der umgebenden Gesellschaft (Ko-Konstruktion bzw. Ko-Produktion; vgl. auch => Ernährungssozialisation).
Im Bildungssystem (institutionelle Bildung) wird unter Ernährungsbildung die Initiierung und Begleitung eines Lernprozesses zur Gestaltung einer individuell erwünschten und gesellschaftlich sinnvollen Ess- und Ernährungsweise verstanden. Diese beinhaltet vor allem gesundheitliche, soziale, kulturelle, ökonomische und ökologische Dimensionen.
Ernährungsbildung soll Kinder, Jugendliche und Erwachsene bei der Entwicklung einer eigenverantwortlichen Ess- und Ernährungsweise unterstützen und begleiten.
Ernährungsbildung ist Teil des allgemein bildenden Auftrags von Schule, auch des allgemein bildenden Auftrags von Berufsschule sowie der Berufsbildung (Ausbildung oder Fortbildung).3
Ernährungsbildung ist im Schulsystem fachlicher Auftrag, der die Beherrschung komplexer fachlicher und fachdidaktischer Zusammenhänge voraussetzt. Zudem ist sie überfachlicher Auftrag, weil zahlreiche Perspektiven anderer Disziplinen berührt werden (ethische, ökonomische, biologische etc.).
Ernährungsbildung ist damit in der Bildungsdiskussion weiter gefasst als => Ernährungserziehung und grenzt sich von ihr ab, wenn unter Ernährungserziehung die überwiegend normativ bestimmte Vermittlung von Wissen und Verhaltensregeln verstanden wird.
Didaktik der Ernährungsbildung
Ernährungsdidaktik stellt den essenden und trinkenden Menschen in den Mittelpunkt, nicht Nahrung oder Nährstoffe. Sie definiert Grundlagen für Sach-, Entscheidungs- und Handlungskompetenzen, welche für eine selbstverantwortliche Lebensführung und damit auch Ess- und Ernährungsweise unter komplexen gesellschaftlichen Bedingungen notwendig sind.4 Sie entwickelt Konzepte zur Vermittlung dieser Kompetenzen.
Essen und Ernährung werden dabei nicht nur aus naturwissenschaftlicher Perspektive und hinsichtlich der individuellen Gesundheit betrachtet. Vielmehr werden sie im gesamtgesellschaftlichen, soziokulturellen und welternährungswirtschaftlichen Kontext gesehen. Dabei wird Essen in seiner physischen, psychischen und sozialen Funktion für den Menschen beachtet, respektiert und thematisiert.
Ernährungsdidaktik begreift die Auseinandersetzung mit der individuellen Essbiographie als grundlegenden Bestandteil der Entwicklung von Esskultur. Der subjektive Lebensstil und die damit verbundene Beziehung zum Essen und zum eigenen Körper werden als wesentlich für die jeweiligen Ess- und Handlungsmuster verstanden.
Nahrungszubereitung ist wesentlich zur Vermittlung von Handlungskompetenzen (=> Ernährungspraxis). Sie muss theoretisch fundiert, kulturell reflektiert und lebensweltlich eingeordnet sein sowie mit Fähigkeiten und Fertigkeiten im Bereich Konsum und Umgang mit dem Markt verbunden werden. Die enge Verzahnung des Lernfeldes "Ernährung des Menschen" mit Fragen eines gesundheits-, umwelt- und sozialverträglichen Lebensstils bedingt die Verknüpfung der Ernährungsbildung mit Verbraucherbildung.
Die didaktischen Orientierungen für die schulische Ernährungsbildung werden durch die Referenzrahmen der fachdidaktischen Gesellschaften5, die Bildungs- und Lehrpläne der Länder und/ oder die jeweiligen nationalen Standards gegeben.
1 Angelehnt an die Bildungsdefinition des 12. Kinder- und Jugendberichtes Kapitel 2.2 Bildungsdimensionen und Bildungsziele
2 Unter Esskultur wird die Gesamtheit der materiellen und immateriellen Errungenschaften der Menschen im Bereich Essen und Ernährung verstanden. Sie darf nicht auf einzelne Aspekte (z. B. bürgerliches Essverhalten, Tischsitten, Speiseauswahl) reduziert werden.
3 Die Berufsberechtigung ist an eine entsprechende Qualifikation (einschlägige Fachausbildung einschließlich einer pädagogischen Qualifikation) geknüpft.
4 Die Alltagsrelevanz von Ernährungsverhalten für Individuen und Gesellschaft führt zu einem hohen gesellschaftlichen Erwartungsdruck. Dieser fordert von Ernährungspädagogik Ansprüche ein, die an Ernährungstherapie gestellt werden müssen. Sie können von Ernährungsbildung so nicht bewältigt werden, müssen aber zu einer Auseinandersetzung mit dem führen, was Theorie und Praxis im Unterricht leisten kann. Eine Abgrenzung von anderen Berufsfeldern, wie z.B. Ernährungsberatung und Ernährungstherapie ist notwendig.
5 Fachdidaktischer Referenzrahmen für die Ernährungs- und Verbraucherbildung: D: Fachdidaktische Gesellschaft: Haushalt in Bildung Forschung e.V., Referenzrahmen: Reform der Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schulen (REVIS); A: EVA Qualitätsindikatoren für erfolgreiches schulisches Lernen formulieren: "der/die Schüler/in kann...". Aus der Schweiz folgen noch entsprechende Ausführungen.
Erstellt von der D-A-CH-Arbeitsgruppe zur Ernährungs- und Verbraucherbildung
- Kontakt Deutschland REVIS: Prof. Dr. Kirsten Schlegel-Matthies, Universität Paderborn, E-Mail:
- Kontakt Österreich EVA: Mag. Ursula Buchner, Pädagogische Hochschule Salzburg, E-Mail:
- Kontakt Ernährungs- und Konsumentenbildung Schweiz: lic. phil. Claudia Wespi, Pädagogische Hochschule Luzern, E-Mail: und Corinne Senn Keller, FHNW Basel, E-Mail:
[Stand: 13.1.2010]